Übergewicht
Käsebrot gegen Bevormundung.
Die 50-jährige Büroangestellte Margot K. kam auf Empfehlung einer Freundin und wollte einige Kilos abnehmen. Sie wirkte auf den ersten Blick leicht trotzig, als sie damals zu mir in die Praxis kam. Ich erinnere mich an ihr äußeres Erscheinungsbild: unauffällige Garderobe, durchaus bürgerlich, aber irgendwie nicht besonders „brav“. Die Augen machten einen wachsamen Eindruck, und aufgrund der Hautfältchen ließ sich ablesen, dass diese Augen oft zu schmalen Schlitzen zusammengezogen wurden. Der Blick verrät Skepsis, Kontrolle und Widerstandsbereitschaft. Hose und Bluse wirkten etwas neutral bis burschikos. Ein weiteres Indiz dafür, dass Femininität (also Eigenschaften, die dem Yin-Pol zugesprochen werden: Passivität, Empathie, Emotionalität und mehr) von ihr offenbar nicht als große Stärke, sondern eher als zu vernachlässigende Eigenschaft empfunden wurde. Man brauchte kein Tiefenpsychologe zu sein, um wahrzunehmen: Diese Frau hatte in der Kindheit kein ausgeprägtes weibliches Vorbild.
Bei einer anfänglichen Befragung zu ihrer Biografie stellte sich dann auch schnell heraus, dass Margots Mutter zum eher spießbürgerlichen, kontrollierten und ängstlichen Menschentypus gehörte. Sie hatte ihre Tochter mit Erziehungsregeln überzogen, wo sie nur konnte. Der Vater hingegen erschien dem Mädchen etwas liberaler, allerdings auch weniger präsent. Ihren Job im Büro mochte sie zwar, litt aber unter einem Vorgesetzten, der offenbar glaubte, nach alt-herrschaftlicher Manier dominieren zu können. Änderungen im Arbeitsablauf wurden bei ihm ohne Absprachen durchgeführt. Was der Chef sich in den Kopf setzte, musste unverzüglich umgesetzt werden. Der Mann war für Margot Stress pur.
Margot vermutete, ihr Übergewicht rühre vor allem daher, dass sie nach der Arbeit im Büro zuhause unbändigen Appetit verspürte und hemmungslos aß. Auf meine Frage hin, welche Speisen bei Margot ganz oben auf der Lieblingsliste stünden, sagte sie ohne zu zögern: „Käse. Käse am Stück, Käsebrote und all so etwas.“ Ich fragte weiter: „Warum Käse?“ Ihre Antwort kam prompt: „Na, weil er gut schmeckt.“ „Nein!“, entgegnete ich. „Käse kann nicht gut schmecken. Ich kenne jemanden, der würde niemals Käse essen. Viele hundert Millionen Chinesen mögen ebenso keinen Käse. Wenn Käse selbst tatsächlich wohlschmeckend wäre, müssten alle Menschen auf der ganzen Welt positiv darauf reagieren, wie etwa auf Glukose.“ Natürlich wusste ich, dass diese ungewöhnliche Erklärung sie verblüffen würde, aber da erkenntnisorientiertes Coaching auf eine große emotionale Eindruckstiefe angewiesen ist, um Verhaltensänderungen zu bewirken, wollte ich eine erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft bei ihr erzeugen. Außerdem müssen wir, wenn wir wirklich wissenschaftlich arbeiten wollen, Ursachen und Wirkungen gründlich hinsichtlich Kausalität überprüfen. Ich fuhr fort: „Ihnen schmeckt der Käse also. Warum? Welche positiven Erlebnisse haben Sie in der Kindheit in Zusammenhang mit Käse gehabt?“ Margot dachte nach. Plötzlich kam ihr eine deutliche Erinnerung in den Sinn: „Als ich vier oder fünf Jahre alt war, hatten wir in der Nachbarschaft so eine Art fahrenden Lumpensammler. Er sammelte Sperrmüll, bereitete alte Möbel wieder auf und verkaufte diese für wenig Geld. Wenn er am Nachmittag von seiner Tour wieder heimkam, schenkte er mir oft seine übrig gebliebenen belegten Käsebrote. Meine Mutter war immer strikt dagegen und verbot mir, die Brote anzunehmen. Damit war klar: Käsebrote trugen die Botschaft einer konspirativen Solidaritätsbekundung. Sie waren ein Symbol für den heimlichen Widerstand gegen mütterliche Bevormundung, gemeinsam mit einem oppositionellen Verbündeten. Der Grund, warum Margot nach der Büroarbeit einen solchen Appetit auf Käsebrote bekam, lag in der empfundenen Bevormundung durch ihren Chef. Das Gegenmittel zu diesem Gefühl war die unterbewusste Erinnerung an den heimlichen Verbündeten aus der Kindheit. Mit jedem Biss ins Käsebrot empfand sie ein innerliches: „Ätsch, Mama! Du kannst nicht über mich bestimmen!“ Der Bürochef wurde als Autoritätsperson einfach nur zu einem unterbewussten Mustervertreter der mütterlichen Autorität.
Das Zunehmen geschah darüber, dieses beim Essen erinnerte Gefühl von Freiheit festhalten zu wollen. Leider wusste der Körper nicht, dass nicht der Käse selbst gemeint war, sondern nur das an ihn geknüpfte Gefühl.
Es sind die positive Symbolbedeutung bestimmter Speisen und der gleichzeitig fehlende emotionale Ausgleich, die einen Menschen zunehmen lassen.
Wer Nahrung als Anti-Stress-Mittel missbraucht und dies als einzige verfügbare Stresslösung empfindet, nimmt zu. Wer isst, um sich zu ernähren, bleibt schlank. Wenn nach dem Essen Schuld-, Scham- oder Angstgefühle auftreten, nimmt man ebenso zu. Ein echtes Überflussgefühl dagegen macht schlank – wie bei einer Diät.
Nikotinsucht
Seht, ich habe was geleistet!
Als Eberhard im Juni 2000 zum Gespräch erschien, wirkte er auf mich optisch wie ein Kleinunternehmer, der es „geschafft“ hat: dunkler Anzug, goldene Armbanduhr, goldener Fingerring, gepflegter Backenbart. Sein Gesamteindruck verriet: „Ich bin Chef.“Dazu passten auch die acht bis zehn Zigarren, von denen er endlich loskommen wollte. Zigarren sind deutlich kostspieliger als Zigaretten und gelten daher (unterbewusst) als Statussymbol.
Als Inhaber einer Wäscherei war Eberhard sehr erfolgreich und stand nun kurz vor dem Ruhestand. Er genoss einen gewissen Wohlstand, den er sich mit „eigener Hände Arbeit“ geschaffen hatte. Doch das war nicht immer so:
Als Ältester von vier Kindern hatte Eberhard während sei- ner Kindheit in den Kriegsjahren nicht viel zu lachen. Sein Vater war als Soldat im Krieg. Die Mutter war mit den Kindern allein, und so lastete auf dem ältesten Sohn schon früh eine große Verantwortung für seine Familie.
Eberhards Kindheit bestand aus Armut und Entbehrung, gepaart mit harter Arbeit und viel zu hohem Verantwortungsdruck.
Dass diese Zeiten endgültig vorbei waren, bewies sich Eberhard mehrfach täglich unterbewusst mit seinen Zigarren. Nachdem wir diese Zusammenhänge in der Beratung aufgedeckt hatten, erkannte Eberhard endlich, weshalb er rauchte – und was er sich davon versprach.
Nach etwa acht Wochen erhielt ich von ihm einen Anruf, in dem er mir erzählte, dass er – statt täglich Zigarren zu konsumieren – nur noch hin und wieder an einem schönen Nachmittag einen Zigarillo „paffte“. Auf dieses Relikt wollte er nicht verzichten, zumal er ansonsten kerngesund war. Eben! Man muss nicht zwingend abstinent sein, wenn man sich wirklich vom Rauchen befreit hat.
Allergien
Kampf gegen den Stellvertreter
Vor einigen Jahren suchte mich ein Mann (37) mit starker Katzenhaarallergie auf, welche die Beziehung zu seiner Freundin belastete, nachdem die beiden zusammengezogen waren. Die geliebte Katze seiner Partnerin lag nachts im gemeinschaftlichen Bett, was ihn stets um den Schlaf brachte. Nach kurzer, tiefenpsychologischer Analyse wurde deutlich, dass er unterbewusst eine alte Eifersucht auf die Katze projizierte. Rund zwanzig Jahre früher bekam sein kleiner Bruder von den Eltern eine Katze und damit noch mehr Aufmerksamkeit der Eltern, als dieser als Zweitgeborener ohnehin schon hatte. Die Katze wurde für den Älteren zu einem unterbewussten Trigger für sein Erstgeborenentrauma. So wie wir das aufdeckten und mit einem Reframing emotional verarbeiteten, verschwand nicht nur die Allergie, sondern auch eine bestehende Missstimmung zwischen den (mittlerweile längst erwachsenen) Brüdern. Allergien treten so gut wie immer mit unterdrückter Wut/Aggression/Enttäuschung auf. Sie sind ein „Stellvertreterkampf“, denn nicht die Allergene machen krank, sondern triggern (erinnern) lediglich die ursprüngliche Stresssituation. Die gesamte Abwehr wird nun auf die Allergene losgelassen, anstelle dem „wahren Feind“ zu begegnen.
Ein Symptom ist keine Krankheit, sondern der Versuch, die Wiederholung einer Traumatisierung zu vermeiden, so behaupte ich. Heilung geschieht dadurch, dass die Ursache bewusst gemacht und die Gefährlichkeit neu eingeschätzt und heruntergestuft wird.
Schlafstörung
Erlernte Schlafstörung
Mein 71-jähriger Kunde Josef L. litt unter Ein- und Durchschlafstörungen und suchte eine Möglichkeit, von seinem jahrzehntelangen Schlaftablettenkonsum wegzukommen. Entsprechend meines Ansatzes, dass er wahrscheinlich nicht krank ist, sondern in der Nacht etwas Bedrohliches verarbeitet, das ihn am Schlafen hindert, brauchte ich bei ihm nicht lang zu suchen: Fliegerangriffe während des Krieges in seiner Kindheit schreckten ihn immer wieder aus dem Bettchen. Er musste oft nächtelang mit der Mutter im Keller aushalten, bis Entwarnung gegeben wurde. Da er nachts geboren wurde, war er ohnehin eher auf Nachtaktivität eingestellt (das wäre anders, wenn er morgens die Geburtswehen ausgelöst und die Geburt vollzogen worden wäre, dann wäre er ein Frühaufsteher, der abends müde ist).
Seine Schlafstörungen begannen in einer Zeit, in der seine Frau krank wurde und unter nächtlichen Herzbeklemmungen litt. Die Anfälle ließen irgendwann nach, doch niemand konnte garantieren, dass sie nicht eines Tages wiederkommen würden . Es gab für Josef niemals eine echte Entwarnung. Da er sich als ungewolltes Kind seiner Mutter gegenüber schuldig fühlte, projizierte er dieses Schuldgefühl ebenso auf die Beziehung zu seiner Frau, machte sich also unterbewusst verantwortlich für ihre Herzprobleme und konnte deswegen nicht ruhig schlafen. Er war also ständig in Alarmbereitschaft. Das änderte sich, nachdem ich ihm in einer Traumreise (Hypnose, Meditation, Tiefenentspannung) zeigen konnte, dass seine Frau gerade wegen seiner Schlafprobleme beunruhigt und damit in Gefahr ist, erneut herzkrank zu werden und sie eine Sorge weniger hätte, wenn er gut schlafen könnte. Die Lösung besteht darin, dass er nun noch bis spät in die Nacht liest und ansonsten schläft wie ein Baby – ohne Medikamente.